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Titel
Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1848/1849


Autor(en)
Bong, Jörg
Erschienen
Anzahl Seiten
553 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Hettling, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

1978 veröffentlichte François Furet, der bedeutendste französische Revolutionshistoriker nach 1945, seine programmatische Schrift mit dem Titel „Penser la Révolution Française“. Ihm ging es darum, das Ereignis von 1789 aus sich heraus neu zu verstehen. Das war ein beeindruckender und folgenreicher Versuch, die Revolution als geschichtswissenschaftlichen Gegenstand zu analysieren, jenseits geschichtsphilosophischer Überhöhungen und jenseits des „Schutts“ kommunistischer und anderer politischer Instrumentalisierungen.1

1848 hat in Deutschland nie die Aufladung für das politische und nationale Selbstverständnis erfahren, wie 1789 in Frankreich, dennoch steht jeder Blick auf 1848 – damals wie heute – im Banne des „Revolutionszeitalters“, das 1789 begonnen hatte. Seit Langem dominiert die Deutung von 1848 als gescheiterter Revolution, die als „Unterlassungssünde“ der deutschen Geschichte interpretiert wurde, wie David Blackbourn 1980 spottete.2 Die emphatische Beschreibung von 1848 als einem zwar gescheiterten, aber vorbildlichen demokratischen Erweckungserlebnis, das in Deutschland vielleicht doch hätte gelingen können, bietet uns Jörg Bong in seiner auf drei Bände angelegten Geschichte von 1848. Sein, neumodisch gesprochen: Narrativ, besteht darin, auszubreiten, daß es fast doch gelungen wäre. Er zeigt uns zugleich, wie die Revolution, oder das, was er darunter versteht, hätte erfolgreich enden können. Bisher liegt der erste Band vor, der die Vorgeschichte und die Anfänge der Ereignisse bis Ende April 1848 schildert.

Für Bong ist 1848 „der erste große europäische Kampf für moderne Demokratie“. (S. 19) Gerne zitiert er dieser Deutung entsprechende zeitgenössische Stimmen, etwa Arnold Ruge, der 1848 das revolutionäre Geschehen dieses Jahres in Frankreich als „das größte Ereignis der Weltgeschichte“ bezeichnete. (S. 18) So ist für ihn die Demokratie im Jahr 1848 (ohne daß er erläutert, was er darunter versteht) die „junge Heldin der Geschichte“, auch sprächen die Demokraten schon von den „Vereinigten Staaten von Europa“ (S. 19, ohne daß er eine zeitgenössische Quelle dafür angeben kann).3 Wenn die historische Revolutionsforschung seit langem bemüht ist, der Komplexität von 1848 gerecht zu werden, indem mehrere Handlungsebenen unterschieden werden, die sowohl eigenen Dynamiken unterlagen als auch sich wechselseitig beeinflußten4, so fehlt diese Vielfalt bei Bong. Über die Agrarunruhen des April erfährt man praktisch nichts, ebenso wenig über die Vereins- und Presseexplosion, die politischen Eliten und Regierungen etc. Er konzentriert sich regional auf den Südwesten (und ein wenig Berlin), im Grunde handelt es sich um eine etwas weit ausholende Geschichte des südwestdeutschen demokratischen Lagers und des ersten badischen Aufstands. Zugleich orientiert sich seine Darstellung an einer nur allzu einfachen dichotomischen Grundstruktur. Im Grunde erzählt er die alte Geschichte vom Kampf der Guten gegen die Bösen. Hier das Volk, mit den Demokraten als ihrem eigentlichen, wahren Sprachrohr, dort die Dynastien, die Fürsten. Friedrich Wilhelm IV. wird präsentiert als „preußischer Gott des Gemetzels“ (S. 289), Metternich als der „dunkle Fürst“. (S. 32)

Bong versucht gar nicht erst, zu zeigen, wie es „eigentlich“ gewesen ist, Rankes Diktum und sonstige theoretische Fragen bleiben ihm fremd. Sein Erzählmodus ist statt dessen der des „fast“ – des wie es eigentlich hätte sein sollen, sein können, mit mehr revolutionärem Elan. Der Autor versucht gewissermaßen, die Handelnden von der Seitenlinie aus anzufeuern. Über das Vorparlament in Frankfurt (31. März bis 3. April), bestehend vor allem aus süddeutschen Liberalen, das sich nicht zur revolutionären Konstituante erklärt, klagt Bong: „tatsächlich ist die deutsche Revolution zum Greifen nah, es bedarf buchstäblich eines einzigen Beschlusses. […] Das wär’s! Mehr nicht! Eine einzige Tat“. (S. 363) Das mag genügen, um zu verdeutlichen, daß Bong keine Scheu vor Pathos und vor dramatisierenden Schilderungen hat.

Bong hegt eindeutige politische Sympathien für seinen Gegenstand und seine Helden. Deshalb stellt er die Demokraten in den Mittelpunkt seiner Darstellung, auch wenn diese eine Minderheit innerhalb des 1848 sich vielfältig ausdifferenzierenden heterogenen politischen Handlungstableaus bildeten. Das kann man zweifellos machen, schreibt dann aber keine Geschichte der deutschen Revolution, wie Bong verspricht. Das eigentliche Problem der Arbeit besteht indes darin, daß er die Geschichte, die er dem Leser anbietet, als teilnehmende Beobachtung ex post gestaltet. Ihm fehlen sowohl die analytische Distanz zu seinem Gegenstand als auch ein theoretisches Gerüst für die Interpretation des komplexen Handlungsgeschehens. Hinzu kommen eine bisweilen souveräne Ignoranz gegenüber der reichhaltigen Forschungsliteratur und ein selektiver und beeindruckend unkritischer Umgang mit den Quellen, welche er heranzieht. Einige Kritikpunkte seien im Folgenden beispielhaft benannt.

Erstens hat der Verzicht auf eine intensive Kenntnis der historischen Literatur seinen Preis. Zwar würdigt und verwendet Bong sehr ausführlich Veit Valentins Geschichte von 1848, die ja auch als erzählerische Darstellung angelegt ist, aber trotzdem beeindruckend analytisch argumentiert. So reproduziert Bong etwa den längst widerlegten marxistischen Mythos, die Armut im Vormärz sei ein Resultat der aufkommenden Fabrikarbeit, der „neuen kapitalistischen Produktion“. (S. 61) Der Pauperismus wurde auch nicht durch „wesentlich drei Frauen“ dem breiteren bürgerlichen Publikum zu Bewußtsein gebracht, sondern war seit den 1830er-Jahren eines der großen öffentlichen Themen im Vormärz. Die südwestdeutschen grundherrschaftlichen Verhältnisse generell als „Knechtschaft“ (S. 157) zu bezeichnen, ist – gelinde gesagt – unterkomplex. Gilt doch der Südwesten als Region der „klassenlosen Bürgergesellschaft“, die nicht nur ein städtisches Phänomen war, wie einer der am breitesten rezipierten Aufsätze zum Vormärz der letzten Jahrzehnte betont hat.5 Vor allem für sein Kernargument, der Erfolgschancen der revolutionären Straßenaktion, hier den ersten badischen Aufstand im April 1848, der versuchte, die eigene minoritäre Zielvorstellung mit Waffengewalt durchzusetzen, vermeidet er jede Diskussion mit konträren Positionen. Für den Leser Bongs wäre es jedoch erhellend, aus welchen Gründen er Hecker attestiert, „politischer Realist“ (S. 158) gewesen zu sein, und er seinen Zug ganz anders interpretiert, als dies etwa in einer umfassenden historischen Analyse der badischen Revolution beurteilt wird, wo es heißt, daß es die „die politische Inkompetenz der Beteiligten in geradezu erschreckender Weise“ zeige.6 Oder wie er zu Analysen steht, welche in Baden durchaus Sympathien für republikanische Vorstellungen entdeckt haben, aber auch hervorhoben, daß diese „friedlich“, in „gesetzlicher Weise“ angestrebt werden sollten.7 Daß genau hierin einer unter mehreren Gründen für das Scheitern zu finden sein könnte, derartige Überlegungen bleiben dem Autor fremd.

Zweitens ist Bongs Umgang mit Quellen fragwürdig. Er konzentriert seine Darstellung ganz zentral auf die Selbstaussagen und späteren Rechtfertigungsberichte jener Personen, denen seine politischen Sympathien gehören. Das sind die politischen Führungsfiguren wie Hecker und Struve, das sind Literaten wie Georg und Anna Herwegh, Louise Aston, Karl Gutzkow, das sind die Personen des linken Lagers, wie Robert Blum. Jedoch vermisst man jegliche Quellenkritik bei ihm. Er nimmt die Selbstaussagen und Deutungen eines ganz bestimmten Teils der politisch Handelnden als hinreichende Informationsquelle für das Geschehen insgesamt und versucht nicht einmal, deren Darstellung und Interpretation zu überprüfen, indem er andere Stimmen heranzieht, andere Quellen damit kontrastiert, Bedingungen und Gegebenheiten schildert, um die Validität von Äußerungen zu plausibilisieren.

Die revolutionäre Zurückhaltung in Berlin will er mit einer Äußerung Georg Herweghs verdeutlichen, der wenige Tage nach den Barrikadenkämpfen des 18. März an einen Berliner Freund schrieb, „ihr habt Eure, Ihr habt unsere Geschichte verpfuscht!“, und damit zum Ausdruck bringen will, daß man in Berlin im März 1848 die Monarchie hätte stürzen müssen, ja können, wenn man dort den notwendigen „politischen Instinkt eines Pariser Gamins besessen hättet“. (S. 335) Das entspricht der herkömmlichen Deutung der „Unterlassungssünde“, um nochmals Blackbourn zu erwähnen. Ob aber vielleicht der unrealistische badische Aufstand des April 1848, der bei Bong eine heroische Schilderung erhält, auch etwas verpfuscht hat, fragt Bong nicht. Er blendet das Urteil über Hecker und Struve aus, das zum Beispiel Robert Blum, eine andere Leitfigur der Demokraten, am 3. Mai 1848 seiner Frau gegenüber artikulierte. „Hecker und Struve […] haben das Volk verraten durch ihre wahnsinnige Erhebung und es mitten im Siegeslauf aufgehalten; das ist ein entsetzliches Verbrechen“.8 Derartige Stimmen passen nicht in seine Dramaturgie des – fast erfolgreichen – Kampfes der Guten gegen die Bösen.

Furet war erfolgreich mit seinem Impuls, die Revolution neu zu denken und als wissenschaftliches Sujet aus den Vereinfachungen politischer Identitätsstiftung zu lösen. Im vorliegenden Band aber wird das Geschehen von 1848 nicht neu interpretiert, sondern eine romantische Phantasie von demokratischer Revolution ausgebreitet. Bong versucht eine Form von historischer Erzählung, die Nietzsche monumentalische Geschichtsschreibung genannt hat. Diese verzichtet darauf den „wahrhaft geschichtliche[n] Connexus von Ursachen und Wirkungen“ zu ergründen und erliegt gerne der Gefahr, „der freien Erdichtung angenähert zu werden“.9

Anmerkungen:
1 François Furet, 1789 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Berlin 1980 (franz. 1978), S. 7.
2 David Blackbourn / Geoff Eley, Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848, Frankfurt am Main 1980, S. 71.
3 Weder in der Offenburger Versammlung der Demokraten 1847 noch auf dem Demokratenkongress 1848 wurde diese Forderung erhoben.
4 Z.B. Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 1985.
5 Lothar Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft“. Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 220 (1974), S. 324–356.
6 Wolfgang von Hippel, Revolution im deutschen Südwesten. Das Großherzogtum Baden 1848/49, Stuttgart 1998, S. 146.
7 Paul Nolte, Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden 1800–1850, Göttingen 1994, S. 324f.
8 Rolf Weber (Hrsg.), Revolutionsbriefe 1848/49, Frankfurt 1973, S. 139f.
9 Friedrich Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, in: ders., Kritische Studienausgabe, Bd. 1, München 1988, S. 262.

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